Prolog
Schon als
Kind schien sie nicht zu dieser Welt zu gehören. In keine Gruppe passte sie, war
der ewige Außenseiter. Willkommenes Opfer für böse Streiche, für Knuffe,
Schläge und andere Handgreiflichkeiten. Tag für Tag musste sie dies alles
ertragen. Wenn sie im Unterricht die Antwort schuldig blieb, lachten alle über
ihre Dummheit. Doch wenn sie wusste, was erfragt wurde, war sie die Streberin.
Und das war längst nicht das Schlimmste. Die Schimpfnamen und auch das Lachen
hätte sie ertragen können, die Gewalttaten mit einem Lächeln abtun, doch womit
sie nicht umgehen konnte, war die Einsamkeit, der sie ausgesetzt war. Es gab
niemanden, der ihr beistand, keinem, dem sie ihren Kummer anvertrauen konnte. Sie
wurde behandelt, wie eine Aussätzige. Entweder mochte man sie nicht, oder die
anderen hatten Angst, ebenfalls ausgegrenzt zu werden, sollte man sich mit ihr
abgeben.
So verging
ihre gesamte Schulzeit. Die dort erzwungene Einsamkeit setzte sich nun
freiwillig fort. Vertrauen wollte sie keinem mehr. Menschen enttäuschten sie
nur, dessen war sie sich vollkommen sicher. Obwohl sie hübsch anzusehen war,
lehnte sie Verabredungen ab, verbrachte die Abende alleine. Vor dem Radio oder
mit einem guten Buch. Sie verließ die Wohnung nur zur Arbeit und um Besorgungen
zu machen. Wohin hätte sie auch gehen können, so ganz alleine? Dabei merkte sie
nicht, dass es durchaus Menschen gab, die ehrliches Interesse an ihr hatten.
Menschen, die ihr die Nähe geben wollten, nach der sie sich insgeheim so sehr
sehnte.
1. Kapitel
Sie starrte
in den Spiegel. So verändert hatte sie sich selber noch nie gesehen. Sie war
kaum wieder zu erkennen. Die langen Haare trug sie heute offen, einer wilden
Löwenmähne gleich. Dazu kam Schminke, die sie sonst nie benutzte. Es hatte ewig
gedauert, die langen Wimpern zu tuschen und Lidschatten aufzulegen. Doch am
schlimmsten war der Umgang mit dem Kajalstift gewesen. Es war schwer gewesen,
immer wieder hatten ihre Augen angefangen zu tränen und sie hatte aufhören
müssen. Zum Glück hatte sie früh genug angefangen. Denn heute Abend musste
alles perfekt sein. Seit Wochen schon hatte sie sich auf diesen Abend
vorbereitet. Auch die Kleidung, die sie trug, war neu und so ganz anders, als
ihr sonstiger Stil. Kurzer Lederrock, eine fast halbdurchsichtige Bluse und
dazu kniehohe Stiefel, mit bleistiftdünnen Absätzen. Alleine zu lernen, darauf
zu laufen, hatte einige Tage in Anspruch genommen. Und jetzt war sie endlich
soweit, ihm endlich wieder in die Augen sehen zu können.
Marian fuhr
sich noch einmal durch die Haare, bevor sie die Weinflasche entkorkte. Kerzen
brannten auf dem gedeckten Tisch. Auch im Schlafzimmer hatte sie bereits alles
vorbereitet. Der Stuhl aus ihrer Büroecke war in die Mitte des Raumes gerollt,
damit sie nachher um ihn herumgehen konnte. In Gedanken hatte sie den heutigen
Abend schon so oft durchgespielt. Seit Wochen konnte sie an nichts anderes mehr
denken, als an das, was sie heute tun würde. Und in ihren Gedanken kam er nicht
mehr aus ihrer Wohnung heraus. Jedenfalls nicht lebend. Unruhig lief sie in der
Wohnung auf und ab. Noch ein Blick ins Schlafzimmer, doch auch da musste sie
nichts mehr richten. Der Stuhl, Tücher als Fesseln und alles weitere, was sie
brauchte war bereit. Auch die Kleidung, die sie an dem Abend getragen hatte lag
bereit. Er sollte wissen, warum dies alles passierte.
Ihre
Fingerspitzen glitten über die zerrissene Bluse. Noch immer wurde sie fast jede
Nacht wach und meinte, sein Stöhnen zu hören. Manchmal hatte sie dann auch das
Gefühl, er würde wieder auf ihr liegen und ihr mit seinem Gewicht die Luft zum
Atmen nehmen. Marian schloss die Augen und atmete einmal tief durch. Sie durfte
jetzt nicht weinen. Und nicht nur wegen der Schminke, die verschmieren könnte,
nein, wenn er sah, dass sie geweint hatte, würde er vielleicht ihren Plan
erahnen. Und das wäre das Schlimmste, das derzeit passieren könnte. Sie musste
ihn in Sicherheit wiegen, er musste annehmen, dass sie ihm verziehen hatte.
Wobei sie sich fragte, wie er denken konnte, dass sein Verhalten verzeihbar
war. Als sie jetzt die Augen wieder öffnete, war sie wieder etwas ruhiger. Nun
musste er nur noch kommen.
Nervös sah
sie auf die Uhr. Sonst war er nie unpünktlich gewesen, doch heute, wo es so
wichtig war, war er bereits eine halbe Stunde überfällig. Ob er einen Racheakt
erahnte? Doch Marian schüttelte den Kopf. Sie war am Telefon wie immer gewesen.
Zumindest fast. Auch wenn es ihr schwer gefallen war, denn die letzten Wochen
hatte sie ihn immer wieder weggedrückt, wenn er sie angerufen hatte. Seit dem
Tag nach der Tat, als sie ihn angerufen hatte, hatten sie nicht mehr mit
einander gesprochen. Zu weh hatte es ihr getan, dass er so tat, als wäre nichts
passiert. Dabei hatte er gar nicht so viel getrunken gehabt, dass er
Erinnerungslücken haben könnte. Doch er war den ganzen Abend über seltsam
gewesen. Sogar seine Stimme hatte anders geklungen. Wieder schüttelte Marian
den Kopf. Sie wollte sich keine Gedanken machen, ob er die Tat vielleicht
geplant hatte. Diese Erkenntnis würde ihr viel zu weh tun. Nochmal warf sie
einen Blick auf die Uhr.
Eine
Viertelstunde später, Marian war noch einmal im Schlafzimmer gewesen, um noch
einmal nachzusehen, ob alles in Ordnung war, und wollte gerade zu ihrem Handy
greifen, um Peter anzurufen, klingelte es. Mit rasendem Herz ging sie zur Tür.
Schwere Schritte auf den alten Holzstufen verrieten ihr, dass es Peter sein
musste. So genau kannte sie seine Schritte bereits. Die rechte Hand, die sie am
Türrahmen liegen hatte, zitterte. Mit tiefen Atemzügen versuchte Marian sich zu
beruhigen. Peter sah müde aus, als er sich an ihr vorbei schob und ins
Wohnzimmer ging. Sein Blick wanderte erstaunt durch den Raum, blieb an den
Kerzen und dem Wein hängen. Er setzte sich hin, schwieg aber, während Marian
sich ihm gegenüber setzte und die Gläser füllte.
„Warum warst
du so sauer auf mich?“ Seine Stimme klang rau, beinahe zittrig.
„Lass uns
später darüber reden!“ versuchte Marian ihm auszuweichen. Seine blauen Augen
ruhten auf ihrem Gesicht, anders als an diesem Abend vor sechs Wochen, als er
sie mit seinen Blicken verschlungen hatte. Der Blick seiner Augen war da so
kalt gewesen, wie sie ihn noch nie zuvor gesehen hatte. Mit einem falschen
Lächeln auf den Lippen prostete sie ihm zu und nippte an dem Wein. Auch er
trank, doch er betrachtete sie über den Rand seines Glases hinweg.
„Was ist
los?“ irritiert verschränkte sie die Arme vor der Brust, kurz dachte sie, dass
es doch keine gute Idee gewesen war, diese durchsichtige Bluse anzuziehen. Doch
Peters Gedanken schienen ganz woanders zu sein.
„Eigentlich
muss ich doch fragen, was los ist. Erst rufst du mich an, beschimpfst mich auf
übelste, mit Worten, von denen ich gar nicht dachte, dass du sie kennst, dann
verweigerst du jedes Gespräch, drückst mich weg, wenn ich dich anrufe und dann,
aus heiterem Himmel rufst du mich wieder an, lädst mich ein und trägst Sachen,
die ich noch nie an dir gesehen habe. Also, was ist mit dir los?“ Obwohl seine
Stimme so sanft geklungen hatte, konnte Marian nicht antworten. Sie stand auf
und lief ins Bad.
Dort stützte
sie sich auf das Waschbecken. Was versuchte sie hier nur? Sie hatte gedacht,
dass Peter noch immer der eiskalte Vergewaltiger war, der sie vor sechs Wochen
einfach auf ihr Bett gestoßen hatte und ihre jahrelange Freundschaft binnen
weniger Minuten einfach auslöschte. Doch jetzt, war er wieder der alte, als
wäre diese Nacht nicht geschehen. Und wenn in ihrem Schlafzimmer nicht die
zerrissenen Sachen liegen würden, würde sie sich nur zu gerne einreden, dass es
nur ein furchtbarer Albtraum gewesen war, der ihr seit Wochen den Schlaf
raubte. Doch dem war nun einmal nicht so. Noch immer konnte Marian sich an den
Geschmack der brutalen Küsse erinnern, die Gier mit der seine Hände ihr erst
die Bluse zerrissen und dann den langen Rock hochgeschoben hatten. Nur weigerte
sich ihre Seele noch immer diese Bilder mit dem Mann in ihrem Wohnzimmer in
Einklang zu bringen. Wahrscheinlich auch, weil diese Bestie, die an dem Abend
über sie hergefallen war, zwar das Gesicht ihres besten Freundes gehabt hatte,
aber so ganz anders gewesen war. Doch länger darüber nachdenken würde sie nur
von ihrem Plan abbringen. Daher wusch sie sich die Hände und spritzte
vorsichtig kaltes Wasser in ihr Gesicht. Innerlich um Stärke bittend ging sie
zurück ins Wohnzimmer.
Peter war
aufgestanden und kam ihr entgegen. Er wollte ihre Hände greifen.
„Bitte Mari,
sag doch, was los ist. Du hast doch was.“
„Du willst
wissen, was los ist? Dann komm mit. Es wartet eine Überraschung auf dich!“
mühsam nur beherrschte sie ihre Stimme. Verwundert folgte Peter ihr in ihr
Schlafzimmer, das er nur dieses eine Mal betreten hatte. Sein ganzes Auftreten
war heute so anders, als an diesem Tag. Und gleichzeitig wieder so, wie sonst.
Sanft, schüchtern und freundlich. Alles, was er den gesamten Abend über nicht gewesen
war. Marian war kurz davor, ihren Plan zu verwerfen. Sie war nicht so, wie sie
sich am heutigen Tag darstellen wollte. Natürlich durfte diese Vergewaltigung
nicht ungestraft bleiben, doch warum wollte sie sich zum Racheengel erheben?
Nur, weil sie es nicht geschafft hatte, ihn anzuzeigen? Sie hatte es doch
geschafft, die Kleidung aufzubewahren, diesen Plan zu schmieden und alles
vorzubereiten. Was war dann so schwer daran gewesen, die zwei Etagen hinunter
und aus dem Haus raus zu gehen? Es waren nur wenige Meter bis zu der
Polizeiwache. Selbst auf ihren zittrigen Beinen hätte sie diese laufen können. Doch
die Wahrheit war, dass sie Angst vor der Reaktion der Beamten hatte. Natürlich
hatte sie Mitschuld. Immer wieder hatte sie in den letzten Jahren mit Peter
geflirtet, immer zu ängstlich, ihm ihre Gefühle direkt zu gestehen. Sie
schluckte die Zweifel hinunter und wies auf den Stuhl.
„Setz dich!
Ich habe etwas Besonderes mit dir vor.“ Er tat es und beobachtete sie, wie sie
die Tücher fest um seine Handgelenkte schlang. Auch die Beine fesselte sie.
Peter ließ es wortlos geschehen, sein Blick war auf das Bett und die darauf
liegende Bluse gerichtet.
Schweigend
betrachtete sie ihr Werk. Das dicke Seil grub sich fest in das Fleisch seiner
Beine, während die weichen Tücher an seinen Handgelenken einen Kontrast
bildeten. Seine Hände hatte er beinahe entspannt auf die Lehnen gelegt. Marian
griff nach der Rolle Klebeband und stellte sich hinter ihn.
„Ich hab
einiges mit dir vor, aber du darfst es nicht durch Worte verderben. Mit einem
Ruck riss sie etwas ab und klebte ihm den Mund zu. Peters Atem begann schneller
zu werden. Allmählich schien er zu merken, dass dies kein normaler Abend werden
würde.
„Ich erinner
mich noch gut an das Gefühl, deiner Hände auf meiner Haut. Ich wünschte, dass
du sanft gewesen wärst, dann müsste ich das hier jetzt nicht machen.“
Verständnislos beobachtete Peter, wie sie sich von ihm weg drehte. Panik kroch
in seinen Blick, als er den schweren Vorschlaghammer in ihren schmalen Händen
sah. Dennoch versuchte er nicht, die Fesseln zu lösen. Er schloss nur seine
Augen und wartete auf den Schmerz.
Dieser kam
jedoch nicht, so dass Peter die Augen öffnete. Er sah, dass Marian noch immer
mit erhobenem Hammer vor ihm stand. Ihr Brustkorb hob und senkte sich, unter
der Anstrengung keuchte sie. Peters Blick flehte sie an, diesen Blödsinn
aufzugeben. Tränen liefen ihr über die Wangen. Noch ein letzter Atemzug und sie
ließ den Vorschlaghammer hinunter auf seine Finger sausen. Kurz bevor er seine
eigenen Fingerknochen bersten hören konnte, stoppte sie. Stattdessen spürte er
nur, wie sie das kalte Metall des Hammers gegen seine Hand drückte. Peter
seufzte erleichtert hinter dem Knebel auf. Marian stellte den Hammer außerhalb
seiner Reichweite ab und drehte sich um.
„Nicht
weglaufen, noch sind wir nicht fertig miteinander!“ rief sie beinahe fröhlich,
bevor sie ins Wohnzimmer ging.
2. Kapitel
Um sich zu
beruhigen, räumte sie die Weingläser in die Küche. Den Rest Wein, fast eine
halbe Flasche, kippte sie in den Ausguss. Noch immer liefen die Tränen über
ihre Wangen und verschmierten das sorgfältig aufgelegte Mascara. In der
Spiegelung einer der Glastüren des Küchenschrankes konnte Marian es genau
erkennen. Daher ging sie ins Bad, um sich das Gesicht zu waschen. Und
eigentlich würde sie sich jetzt auch umziehen können. Mit ihrer Kleidung hatte
sie ihm nur beweisen wollen, dass er sie nicht zerstören konnte, wenn das in
der Nacht sein Ziel gewesen sein sollte. Doch er schien dies nicht zu bemerken.
Überhaupt schien er alles, was sich in der Nacht der Vergewaltigung zwischen
ihnen abgespielt hatte, verdrängt zu haben.
Bevor sie zu
ihm zurück gehen konnte, klingelte es an der Tür. Marian schloss den Durchgang
zum Schlafzimmer und öffnete. Vor ihr stand die alte Dame, die im Erdgeschoss
wohnte. Manchmal tranken sie zusammen Kaffee, doch eigentlich nie so spät am
Abend.
„Hallo
Kindchen, ich wollte nur mal nach dir sehen.“
„Das ist
sehr freundlich von Ihnen Frau Koch. Kommen Sie doch bitte herein.“ Mit einem
dankbaren Nicken betrat die Nachbarin das Wohnzimmer.
„Möchten Sie
vielleicht etwas trinken?“
„Aber gerne
doch! Hättest du vielleicht eine Tasse Kaffee für mich?“ Sie hatte es sich auf
dem Platz gemütlich gemacht, auf dem Peter zuvor gesessen hatte.
„Natürlich,
ich koche eben schnell welchen.“ Marian ging in die Küche. Dabei hoffte sie,
dass Peter im Schlafzimmer kein Geräusch von sich geben würde, denn er musste
die Nachbarin gehört haben.
„Hübsch hast
du dich gemacht. Hast du noch etwas vor?“ Bewundernd sah die ältere Nachbarin
Marian an. Diese schüttelte den Kopf.
„Nein,
eigentlich hatte ich eine Verabredung gehabt, doch er ist nicht gekommen.“
Marian fiel es schwer, die alte Frau, die sie an ihre im letzten Jahr
verstorbene Großmutter erinnerte, zu belügen.
„Na dann
denke da jetzt nicht dran, sondern mache dir einen gemütlichen Abend mit einer
Tasse Tee. Wenn sich der Mann doch noch meldet, musst du ganz erstaunt tun, ob
es wirklich an diesem Tag war. Er soll doch nicht wissen, dass du vergeblich
auf ihn gewartet hast.
„Vielen Dank
für den Tipp. So werde ich es wohl auch machen.“ Kurz war Marian versucht, der
freundlichen Frau Koch von der Tat von vor sechs Wochen zu erzählen und auch
von ihrem jetzigen Racheplan. Doch wahrscheinlich würde sie ihr davon abraten.
Und Marian wusste, dass es für eine Umkehr von dem Plan jetzt zu spät war.
Wenige
Minuten später verabschiedete sich Frau Koch. Obwohl sie sonst gerne mit der
Nachbarin zusammen saß, war Marian erleichtert, denn immer wieder lauschte sie
in Richtung des Schlafzimmers. Doch Peter gab keinen Laut von sich. Ein wenig
ängstlich trat Marian in den Raum, nachdem sie ihre Wohnungstür abgeschlossen
hatte. Sie blieb in der Schlafzimmertür stehen und beobachtete Peter, dessen
Blick wie gebannt auf der zerrissenen Kleidung hing. Mit einem brutalen Ruck
riss sie ihm das Klebeband vom Mund. Allerdings schrie er nicht, sondern stöhnte
nur leise vor Schmerz.
„Sieh dir
nur an, was du mir angetan hast!“ zischte sie dabei. Er schwieg, betrachtete
sie nur traurig.
„Hast du
nichts zu deiner Verteidigung zu sagen, oder nimmst du die Strafe so hin?“
„Warum
sollte ich mich verteidigen, Mari? Ich war es nicht. Aber ich kann mir denken,
dass das der Grund für dein verändertes Verhalten mir gegenüber ist.“ Jetzt war
es an ihr zu schweigen. Natürlich hatte sie damit gerechnet, dass er leugnen
würde, sie vergewaltigt zu haben. Doch irgendwie glaubte sie ihm sogar.
Langsam trat
sie hinter ihn. Ein Küchenmesser mit spitzer Klinge lag auf dem Tisch, wo zuvor
auch noch der Hammer gelegen hatte. Sie griff mit der linken Hand in sein
blondes Haar und zog seinen Kopf ruckartig in den Nacken, so dass er sie von
unten her ansehen musste. Das Messer legte sie an seine entblößte Kehle.
„Bleibst du
bei dieser Lüge?“ ihre Stimme zitterte, während sie die extra geschärfte
Messerklinge, einer Liebkosung gleich, an seinem Brustkorb hinab gleiten ließ.
„Mari, warum
sollte ich lügen? Du weißt genau, dass ich dir niemals weh tun könnte. Wir sind
doch Freunde!“ Bei seinen Worten schnaubte sie verächtlich.
„Freunde! Du
hast dich vor sechs Wochen nicht gerade als Freund erwiesen. Und leugnen bringt
dir nichts!“ Eine Träne rann ihr bei den Worten über die Wange, während sie ein
wenig mehr Druck auf das Messer ausübte, dessen Klinge inzwischen an seinem
Bauch lag.
Sie hatte
seinen Kopf los gelassen, so dass er beobachten konnte, wie die Klinge
zitterte, denn Marian war nicht in der Lage, sie in sein warmes Fleisch zu
rammen. Verzweifelt ließ sie das Messer zu Boden fallen. Er konnte das Klirren
hören, mit der das Metall auf dem Laminat aufschlug. Leise atmete Peter auf,
erleichtert darüber, dass nichts geschehen war. Denn für einen kurzen Moment
hatte er den Schmerz der eindringenden Klinge gemeint zu spüren, auch wenn
nicht einmal ein Loch in dem Stoff seines T-Shirts war. Marian hatte sich zum
Fenster gedreht und starrte in die Dunkelheit.
„Ich habe
mir alles so viel einfacher vorgestellt.“ Wisperte sie.
„Was? Mich
umzubringen? Mari, du bist nicht so hart, wie du dafür sein müsstest.“ Seine
Stimme klang sanft, so als würde ihm der Tod nichts ausmachen.
„Ich weiß
nicht, ob ich dich töten wollte. Vielleicht. Aber auf jeden Fall wollte ich
dich verletzen. So wie du mich verletzt hast!“
„Marian, du
weißt genau, dass ich es nicht war, der dir das angetan hat. Horch in dich
rein, bitte.“
„Wer soll es
denn sonst gewesen sein?“
„Das tut für
den Moment nichts zur Sache. Du fühlst, dass ich es nicht war. Daher kannst du
mir auch nichts tun. Wenn sich dein Herz ganz sicher wäre, dass ich dir das
angetan habe, würdest du keine Skrupel haben, mich zu töten.“
„Du lügst,
um dein Leben behalten zu können!“ zischte sie und schlug ihm fest mit der
Faust gegen den Kiefer. Peters Kopf ruckte zur Seite und er sog mit
schmerzverzerrtem Gesicht die Luft ein. Mit diesem Schlag hatte er nicht
gerechnet.
3. Kapitel
Wieder stand
Marian in der Küche. Sie hatte keine Ahnung, wie sie hier hin gekommen war. Ihr
Herz raste. Peter hatte Recht, sie war kein Mensch, der andere verletzen konnte
und umbringen schon mal gar nicht. Sie hatte gehofft, dass er wieder so wäre,
wie an dem Abend, als er sie vergewaltigte. Arrogant, beinahe schon brutal und vor
allem höhnisch grinsend, über das Geschehen. Doch nein, er war sanft,
freundlich und schien tief betroffen zu sein, dass sie ihm diese Vergewaltigung
überhaupt zutraute. Doch wer hätte es sonst gewesen sein können? Sie hatte sein
Gesicht erkannt, auch wenn sein Verhalten, seine Mimik und Gestik so anders
gewesen war. Genau wie sein Blick und auch seine Stimme. Tränen liefen ihr über
die Wangen.
Ihre Hände
krampften sich um die Platte ihres kleinen Küchentisches. Am liebsten würde sie
schreien vor Verzweiflung. Doch diese Genugtuung wollte sie ihm nicht geben.
Ihr Verstand schallt sie eine Närrin, dass sie annehmen könnte, dass er die Tat
doch nicht begangen hatte, doch ihr Herz war sich nahezu sicher, dass er es
nicht gewesen war. Aber wie sie ihn schon gefragt hatte, ohne eine Antwort zu
erhalten: Wer könnte es denn sonst gewesen sein, da sie ihn doch eindeutig
erkannt hatte. Seufzend ging sie zurück ins Schlafzimmer. Sie musste es jetzt
langsam beenden, auch wenn sie noch immer nicht wusste, wie.